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Okt 04

Der Wald ist mein Arzt und Erholungsraum für die Seele

 

Waldspaziergänge könnte es bald auf Rezept geben. Japanische Forscher entdeckten die positiven Wirkungen von Waldspaziergängen, so dass man jetzt in Fernost eifrig dabei ist, Wälder in Therapiezentren umzuwandeln.Sonnenbeschienene Laubbäume im Wald

Bild: © Smileus / Fotolia.com

Eintauchen ins Waldbad

In Japan nennt sich die Therapie shinrin yoku oder forest bathing, zu Deutsch „Waldbaden“. Neueste Forschungen über die positiven Effekte von einem Spaziergang im Wald haben die Japaner davon überzeugt, dass Wälder Therapiezentren werden sollten. In sog. Outdoor-Kliniken kann man sich nach der üblichen Voruntersuchung zum „Baden“ in den Wald begeben. Damit ist natürlich kein Wasserbad gemeint, sondern das Eintauchen in die Umgebung „Wald“.

Wälder gegen Krebs 

Im Jahr 2004 wurden die wohltuenden Auswirkungen des Waldbadens in einem medizinischen Experiment nun auch wissenschaftlich konkretisiert und bewiesen. Gemeinschaftlich hatten die japanische Behörde für Forstwirtschaft, das Forschungs-institut für Wald und Waldprodukte und das Zentrum für Medizin Nippon eine Studie in die Wege geleitet, mit der die physiologischen Effekte des Waldbadens näher erforscht werden sollten.

Dr. Qing Li, Assistenzprofessor am Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit imZentrum für Medizin Nippon, fasste begeistert die Resultate dieser Untersuchung zusammen. Spazierengehen im Wald fördere sowohl die Entstehung von drei verschiedenen Anti-Krebs-Proteinen als auch die Bildung ungewöhnlich hoher Mengen natürlicher Killerzellen (NK-Zellen), die ebenfalls dafür bekannt sind, Krebszellen aufzuspüren und diese zu attackieren.

Dr. Li erklärte, dass Pflanzen bestimmte Stoffe – sog. Phytonzide(1) – bildeten, mit deren Hilfe sie sich selbst vor Bakterien und Insekten schützten. Diese Phytonzide würden an die Luft abgegeben. Wenn nun Menschen in der Natur und insbesondere im Wald spazieren gingen und diese Phytonzide einatmeten, dann führte das zu einer deutlichen Vermehrung der NK-Zellen im Körper.

Dr. Li beobachtete zwölf Männer im Alter von 37 bis 55 Jahren, die unter einer starken Stresssituation litten und zum Spazierengehen in den Wald geschickt wurden. Bereits am ersten Tag hatte sich die Aktivität ihrer NK-Zellen um 26,5 Prozent erhöht, am zweiten Tag schon um sagenhafte 52,6 Prozent.

Wälder senken Blutdruck und Puls

In einer weiteren Studie mit 280 Teilnehmern schickte man die Hälfte für einige Stunden in den Wald und die andere Hälfte in die Stadt. Anschließend wurden beide Gruppen untersucht und was stellte man fest? Die Waldmenschen erfreuten sich im Gegensatz zu den Stadtmenschen eines auffallend niedrigen Blutdruckes, eines niedrigen Stresshormonspiegels und eines niedrigen Pulses.

Der bloße Anblick eines Waldes beruhigt und reduziert Stresshormone

Im Wald begegnet man natürlich nicht nur den Phytonziden, die ja eher unbewusst aufgenommen werden. Sobald man den Wald betritt und in das satte Grün der Bäume und Wiesen eintaucht, duftet es nach Blumen, Kräutern und dem feuchten Waldboden. Das Laub raschelt unter den Füßen, Vögel singen, Bäche plätschern, Flüsse rauschen und die Sonne schickt einzelne Strahlen durch das dichte Blätterwerk. Allein das Licht-und-Schattenspiel der Sonne auf den Blättern habe eine ungemein beruhigende Wirkung, so Yoshifumi Miyazaki, der Direktor des Zentrums für Umwelt, Gesundheit und Agrarwissenschaft von der Universität Chiba.

Als Japans führender Wissenschaftler im Bereich der Waldmedizin fand Miyazaki heraus, dass der Stresshormonpegel bei Menschen, die einen Wald nur anschauten, bereits um 13,4 Prozent niedriger war als zuvor. „Wir wurden so geschaffen, dass wir in eine natürliche Umgebung passen“, fasste Miyazaki seine Erkenntnisse zusammen. „Wenn wir uns inmitten der Natur aufhalten, werden unsere Körper wieder zu dem, was sie einmal waren.“

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Medizinische Untersuchung unter Bäumen

Der Natürliche Erholungswald Akazawa (Akazawa Natural Recreation Forest) in Agematsu(2), wo das Konzept des Waldbades bereits im Jahre 1982 entstand, wurde 2006 offiziell als Wald-Therapie-Zentrum anerkannt. Ein Wald-Therapie-Zentrum bietet typischerweise Spazierwege, Gesundheitsprogramme und geführte Wanderungen. Wer möchte, kann sich auch direkt unter den Bäumen kostenfrei untersuchen lassen.

Selbstverständlich brauchen wir nicht extra auf die Einrichtung von speziellen Wald-Therapie-Zentren zu warten, um all die wundervollen Eindrücke und Auswirkungen der Natur zu genießen. Es gibt praktisch keinen plausiblen Grund, jetzt – nach diesem Text – noch länger vor dem Bildschirm zu sitzen. Ich jedenfalls bin schon weg – auf dem Weg ins nächste Waldbad.

„Die mit Abstand beste Nerven-Heil-Anstalt ist die freie Natur.“ Ernst Ferstl

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Fünf Minuten reichen schon, um aufzutanken

Auch die Umweltpsychologin Renate Cervinka von der Universität Wien hat Zusammen mit ihren Kollegen herausgefunden, dass der Wald die physische ebenso wie die psychische Gesundheit von Menschen stärkt: Wenn man im Wald spazieren geht, schlägt das Herz messbar ruhiger, der Blutdruck sinkt, die Muskeln entspannen sich.

Gleichzeitig werden Angespanntheit, Stress und Erschöpfung verscheucht, und positive Gefühle erscheinen größer und wichtiger als jene, die einen eher zermürben. Dafür muss man nicht unbedingt eine ganze Stunde durch den Wald wandern. Denn der Entspannungseffekt kommt ziemlich schnell, wie Forscher um Jo Barton von der University of Essex in einer Analyse herausgefunden haben.

Nur fünf Minuten beim Gärtnern, Spazierengehen oder Angeln braucht es, bis die Stimmung deutlich besser und das Selbstwertgefühl erhöht wird – am meisten bei jenen, die chronisch unter Stress stehen.

Und am stärksten ist der entspannende Effekt, wenn die Zeit im Grünen in der Nähe von Wasser verbracht wird. So wie Renate Cervinka an ihrem Waldbächlein.

Stimmung und Selbstwertgefühl sind für Psychologen und Mediziner wichtige Indikatoren für die psychische und körperliche Gesundheit. Denn beides beeinflusst nicht nur das momentane Glücksempfinden, sondern auch die Fähigkeit, mit belastenden und stressigen Ereignissen umzugehen, die sogenannte Resilienz.

Zwar profitierten alle Teilnehmer von einem Kurzausflug in die Natur, der Effekt auf das Selbstwertgefühl aber war vor allem in der Gruppe der jüngeren Erwachsenen ausgeprägt, während der auf die Stimmung vor allem für jene im mittleren Erwachsenenalter stark war – also für jene, die unter der stärksten privaten und beruflichen Belastung standen.

Bäume in der Umgebung helfen bei Heilungsprozessen

Grüne Bäume stärken aber nicht nur die seelische Widerstandskraft, sondern auch die körperliche: Sie haben einen direkten Einfluss auf das Immunsystem. Schon im Jahr 1984 hatte der Gesundheitswissenschaftler Roger Ulrich in einerStudie beobachtet, dass bei Patienten, die nach einer Gallenblasenoperation einen Baum vor ihrem Krankenhausfenster stehen hatten, Wunden schneller heilten und sie früher nach Hause entlassen werden konnten.

Auch brauchten sie im Schnitt weniger Schmerzmittel als die Patienten, die keinen Baum vor dem Fenster hatten. In einer späteren Studie zeigte der Mediziner Qing Li nach einer Analyse von Gesundheitsdaten der gesamten japanischen Bevölkerung, dass in Waldgebieten deutlich weniger Menschen an einer Krebserkrankung sterben als in unbewaldeten Gebieten – und das, nachdem viele andere mögliche Einflussfaktoren auf das Sterberisiko herausgerechnet worden waren.

Der Umweltpsychologe Marc Berman von der University of Chicago veröffentlichte im vergangenen Jahr im renommierten Wissenschaftsjournal „Nature“ eine weitere interessante Untersuchung. Er glich die Baumdichte innerhalb Torontos mit den Gesundheitsdaten der Bewohner ab. Das Ergebnis: Je mehr Bäume in einer Wohngegend stehen, desto niedriger war das Risiko, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln, etwa Bluthochdruck oder Diabetes.

Zehn zusätzliche Bäume um den Block machten die Bewohner dort medizinisch gesehen sieben Jahre jünger. Forschern der Nippon Medical School in Tokio ist es gelungen zu zeigen, woher dieser starke Effekt auf das Immunsystem kommt: Ein ganzer Tag in einem Waldgebiet führt ihnen zufolge dazu, dass die Anzahl der Killerzellen im Blut um 50 Prozent ansteigt – und gut eine Woche so bleibt.

Der Wald ist auch Erholungsraum für die Seele

„Wollt Ihr nicht zu Grunde gehen, lasst noch ein bisschen Wildnis stehen“.

Welchen Erholungswert hat der Wald für die Seele? Diese Frage war Grundlage für die Abschlussdiskussion von rund 35 Teilnehmern eines viertägigen Waldforums im Schwarzwald.

Unter der Leitung von Olfert Dorka aus Freudenstadt hatten die Landschaftstherapeuten einige aufschlussreiche Tage und informative Vorträge erlebt. Den Wald als Wirtschafts-wald zu erkennen, aber auch den wilden, ursprünglichen Wald des neuen Nationalparks Schwarzwald zu erkunden, brachte den Teilnehmern viele Erkenntnisse, die sie in flammenden Statements wiedergaben.

 

„Was bedeutet uns der Wald ganz persönlich, und ist er nicht auch so etwas wie ein seelischer Erholungsraum?“, fragte Olfert Dorka ganz bewusst in die Runde und bekam viele Rückantworten mit persönlichen Erfahrungen und Eindrücken. „Mir ist klar geworden, wie wichtig gerade der wilde, ursprüngliche Wald für unsere Seele ist und was die besondere Qualität ist“, so eine Kursteilnehmerin.

Eine andere Teilnehmerin grenzte sich von den Bestrebungen der Gesellschaft ab, die Menschen nach bestimmten Vorstellungen zu formen. Dies dürfe auch nicht mit dem Wald geschehen. „Die Natur hier im Nationalpark lebt wie sie kann und wird einfach gelassen, das ist das Tolle und Einzigartige daran“, betonte eine begeisterte Natur-pädagogin. Es habe gut getan, in eine andere Zeit einzutauchen und zwei Stunden entlang des Wilden Sees zu wandern, ein Erholungswert der mit einer Woche Urlaub zu vergleichen sei, bemerkte ein anderer Kursteilnehmer.

Das Wort „wild“ gab dem ehemaligen Förster und Kursteilnehmer Walter Trefz Anlass zur näheren Betrachtung. Er sei der Ansicht, man habe an den Wäldern wieder etwas gut zu machen. „Wollt Ihr nicht zu Grunde gehen, lasst noch ein bisschen Wildnis stehen“, zitierte er. Der Wald sei ein Bürgerwald und dürfe nicht durch Maschinen und Geld ruiniert werden. Nationalparkmitarbeiter Charly Ebel beschrieb den ursprünglichen Wald als Märchenwald, denn nicht umsonst hätten sich Hänsel und Gretel im wilden Wald verirrt, dies hätte im Wirtschaftswald nicht passieren können.

„Wenn der Wald stirbt, fliehen die Märchen“, zitierte Ebel Schriftsteller Günter Grass. Im neu eingerichteten Nationalpark sei daher auch ein Waldgebiet angedacht, in dem man alles machen dürfe, Hütten bauen und Bäche stauen, doch alles müsse hinterher wieder auf den Ausgangspunkt zurückgebracht werden, so Ebel.

„Ich war heute glücklicher im wilden Wald, als gestern im Fichtenforst“, beschrieb eine weitere Kursteilnehmerin ihre Empfindungen. Im Nutzwald werde alles ausgeräumt was nicht passt, „im Urwald hingegen habe ich erlebt dass dort alles zugelassen wird – Tod und Leben gleichzeitig“.

Problematisch sahen die Teilnehmer die Tatsache, dass auch durch den Nationalpark viele Besucher laufen und somit wieder eine Störung von außen vorhanden sei. Zudem sei das Gebiet „einfach nur mini. „Wichtig ist uns aber dem Wald keine Käseglocke überzustülpen und ihn erlebbar zu machen, damit er nach außen strahlen kann“, betonte Ebel, der von einer großen Aufgabe sprach, den Menschen wieder die Natur nahe zu bringen.

Olfert Dorka warnte davor den Nationalpark zum Event werden zu lassen, trotzdem müsse man die Natur fühlen und in sie hinein gehen können. Die Pädagogen unter den Teil-nehmern legten ihren Fokus auf die kindliche Offenheit und die Wichtigkeit die Kinder naturnah zu erziehen. „Kinder sind offen und brauchen Erfahrungen, das ist oft besser als sie durch irgendwelche Medikamente ruhig zu stellen“, so eine Lehrerin die ein spezielles Eltern-Kind- Konzept im Nationalpark anregte. „Vergiss dich selber nicht“ legte Olfert Dorka den zufriedenen Kursteilnehmern abschließend ans Herz und rief dazu auf, in vielerlei Hinsicht als Vorbild voranzugehen.


Verweise:

(1)Phytonzide: Pflanzeneigene Wirkstoffe, die von der Pflanze zum Selbstschutz gegen Krankheitserreger und Schädlinge hergestellt und an die Umgebung abgegeben werden. Zwar wirken Phytonzide ähnlich wie Antibiotika, töten jedoch nicht wahllos, sondern wirken eher regulierend. Besonders im biologisch-dynamisch Landbau (Demeter) wird diese regulierende Fähigkeit der Phytonzide schon lange genutzt, da sich manche Pflanzen mit ihren Phytonziden auch gegenseitig schützen können, wenn sie gemeinsam angebaut werden. Auf diese Weise werden Erreger und Schädlinge auf völlig ungiftige Weise in Schach gehalten.

(2)Agematsu liegt in der Präfektur Nagano im Zentrum von Honshu, der Hauptinsel von Japan.

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