Kolumbien stoppt Stierkämpfe endgültig: Ein historisches Aus für eine blutige Tradition
Stell dir vor, du stehst auf den Straßen von Bogotá. Die Sonne brennt, Menschen jubeln, umarmen sich, viele weinen vor Erleichterung. Was ist passiert? Nach über 40 Jahren unermüdlichen Einsatzes haben Tierschützer in Kolumbien das Unmögliche erreicht: Der Stierkampf ist endgültig Geschichte.

Eine Entscheidung, die Geschichte schreibt
Als der kolumbianische Kongress im Mai 2024 mit deutlicher Mehrheit für das Verbot stimmte, war das weit mehr als nur eine politische Entscheidung. Es war der Höhepunkt eines generationenübergreifenden Kampfes, den unzählige Aktivisten, Tierärzte, Wissenschaftler und engagierte Bürger gemeinsam geführt hatten. Präsident Gustavo Petro, selbst ein erklärter Gegner der blutigen Tradition, unterzeichnete das Gesetz umgehend und machte damit Kolumbien zu einem Vorreiter in Lateinamerika.
Doch lass uns einen Schritt zurückgehen: Warum ist dieses Verbot so bedeutsam?
Das unsagbare Leid hinter der „Tradition“
Wenn du jemals einen Stierkampf gesehen hast – oder auch nur Bilder davon – weißt du, dass hier von „Kultur“ oder „Kunst“ keine Rede sein kann. Was in der Arena geschieht, ist systematische Tierquälerei in ihrer grausamsten Form.
Die Wissenschaft ist eindeutig: Studien belegen, dass Stiere während eines Stierkampfes extremen physiologischen und psychologischen Stress erleiden. Forscher der Universität Bristol haben nachgewiesen, dass die Cortisolwerte – das Stresshormon – bei Kampfstieren bis zu 10-fach erhöht sind. Die Tiere durchleben nachweislich Todesangst, Panik und unerträgliche Schmerzen, während sie durch Lanzen, Banderillas und schließlich das Schwert verletzt werden.
Jeder Stierkampf folgt einem grausamen Drehbuch: Zunächst wird der Stier durch Picadores mit Lanzen geschwächt, seine Nackenmuskulatur systematisch zerstört. Dann rammen Banderilleros spitze, geschmückte Stäbe in seinen Rücken. Am Ende – nach 15 bis 20 Minuten qualvoller Tortur – versucht der Matador, das erschöpfte, blutende Tier mit einem Schwert zu töten. Oft gelingt das nicht beim ersten Versuch. Manche Stiere erleiden minutenlang Todeskämpfe, während das Publikum noch applaudiert.
Der lange Weg zum Verbot: Wie sich das Bewusstsein wandelte
Der Kampf gegen den Stierkampf in Kolumbien begann nicht erst gestern. Bereits in den 1980er Jahren formierten sich erste Tierschutzgruppen, die gegen die blutigen Spektakel protestierten. Doch sie stießen auf massiven Widerstand: Die Stierkampf-Lobby war mächtig, wirtschaftlich einflussreich und tief in den konservativen Strukturen des Landes verwurzelt.
Der Wandel kam durch ein Zusammenspiel aus neuer gesellschaftlicher Haltung, wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischer Entschlossenheit. Eine junge Generation Kolumbianer wuchs mit einem viel stärkeren Bewusstsein für Tierrechte auf, und die grausamen Szenen aus den Arenen verbreiteten sich über soziale Medien millionenfach. Dadurch kippte die öffentliche Meinung – zuletzt lehnten über 70 % der Bevölkerung den Stierkampf ab. Zugleich häuften sich wissenschaftliche Studien, die belegen, dass Rinder empfindungsfähige, soziale Lebewesen sind und unter den Kämpfen enorm leiden. Tierärzte und Verhaltensforscher machten unmissverständlich deutlich, dass diese Praxis mit modernen ethischen Standards unvereinbar ist.
Schließlich kam 2022 mit Gustavo Petro ein Präsident ins Amt, der den Tierschutz zu einer politischen Priorität machte und der Bewegung den entscheidenden Rückenwind verlieh.
Die Übergangsphase: Ein pragmatischer Ansatz
Das Verbot tritt nicht sofort, sondern schrittweise bis 2027 in Kraft. Diese Übergangsfrist ist klug gewählt: Sie gibt Regionen, in denen Stierkämpfe zu lokalen Festen gehörten, Zeit für kulturelle Alternativen. Statt blutiger Arenen sollen tierfreie Festivals, Musik, Tanz und andere Formen des Feierns in den Vordergrund rücken.
Kritiker argumentierten, dies bedeute das Ende regionaler Traditionen. Doch die Realität zeigt: Kultur wandelt sich ständig. Auch Gladiatorenkämpfe waren einst „Tradition“ – heute würde niemand mehr ihre Abschaffung bedauern. Wahre Kultur lebt von Empathie, nicht von Gewalt.
Das Verfassungsgericht bestätigt: Auch Hahnenkämpfe vor dem Aus
Als wäre das Stierkampf-Verbot nicht schon historisch genug, legte das kolumbianische Verfassungsgericht 2024 noch eins drauf: Es bestätigte nicht nur das Verbot, sondern kündigte an, auch Hahnenkämpfe verbieten zu wollen.
Hahnenkämpfe – bei denen Hähne mit Klingen oder Sporen bewaffnet aufeinander losgelassen werden, bis einer stirbt – sind in vielen Teilen Lateinamerikas noch immer legal. Kolumbien könnte hier erneut Vorreiter werden und ein Signal senden, dass keine Form von Tierkämpfen mehr toleriert wird.
Die Begründung des Gerichts ist klar: Tiere sind empfindungsfähige Wesen, keine Unterhaltungsobjekte. Diese Anerkennung ihrer intrinsischen Würde markiert einen fundamentalen Paradigmenwechsel im lateinamerikanischen Tierschutzrecht.
Kolumbien reiht sich ein: Der lateinamerikanische Dominoeffekt
Kolumbien ist nicht allein. Das Land schließt sich einer wachsenden Liste südamerikanischer Nationen an, die Stierkämpfe bereits verboten haben:
- Argentinien: Stierkämpfe sind seit 1899 verboten – eines der ältesten Verbote weltweit
- Brasilien: Verschiedene Bundesstaaten haben Verbote erlassen
- Chile: Stierkämpfe sind seit 1823 illegal
- Uruguay: Kein Stierkampf seit dem frühen 20. Jahrhundert
In Europa haben Länder wie das Vereinigte Königreich, Deutschland, Italien und die Niederlande Stierkämpfe längst verboten. Selbst in traditionellen Stierkampf-Nationen wie Spanien wächst der Widerstand: Katalonien und die Kanarischen Inseln haben bereits regionale Verbote durchgesetzt.
Der Trend ist unübersehbar: Weltweit erkennen immer mehr Gesellschaften, dass Tierquälerei niemals Kultur sein kann.
Jeder von uns trägt durch seine Entscheidungen dazu bei, wie Tiere in unserer Gesellschaft behandelt werden. Ob wir Veranstaltungen mit Tierleid unterstützen, tierfreundliche Produkte wählen oder uns für stärkere Tierschutzgesetze einsetzen – wir alle haben Macht.
Die Geschichte Kolumbiens zeigt: Veränderung ist möglich, selbst wenn sie Jahrzehnte dauert. Jede Petition, die du unterschreibst, jede Diskussion, die du führst, jede bewusste Entscheidung zählt.
Ein Blick in die Zukunft
Das Verbot in Kolumbien ist ein Meilenstein, aber nicht das Ende des Weges. Weltweit finden noch immer grausame Praktiken statt: Stierkämpfe in Spanien, Frankreich, Mexiko und Peru, Hahnenkämpfe in zahlreichen Ländern, Rodeos mit massiven Tierschutzproblemen.
Die Frage ist nicht, ob diese Praktiken verschwinden werden – sondern wann. Die Richtung ist klar: Gesellschaften entwickeln sich hin zu mehr Empathie, mehr Respekt für alle Lebewesen.
Kolumbien hat gezeigt, dass es möglich ist, entgegen wirtschaftlicher Interessen und vermeintlicher Traditionen das Richtige zu tun. Das Land hat ein leuchtendes Beispiel gesetzt – für Lateinamerika und die ganze Welt.








