Was Künstler und Philosophen schon längst wissen, wird jetzt zunehmend auch von unserer Gesellschaft entdeckt: Geist und Seele brauchen schöpferische Pausen. Auszeiten und Momente des Nichtstun fördern nicht nur die Regeneration und stärken das Gedächtnis, sondern sind geradezu die Voraussetzung für Einfallsreichtum und Kreativität, vor allem aber für das seelische Gleichgewicht.
Es ist erstaunlich: Mit unserem Körper gehen wir Menschen pfleglicher um als mit unserem Geist. Gesunde Ernährung, Ausgleichssport und Gesundheitsvorsorge gehören zum Alltag. Dass auch unser Geist die Zeit braucht, um die vielen Informationen, die täglich auf uns einströmen, zu verarbeiten, wird meist vergessen.
Wir leben in einer unglaublich geschäftigen Welt. Die Geschwindigkeit des Alltags ist oft hektisch, unser Geist immer beschäftigt, und wir machen immer irgendetwas.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf möchte ich dich bitten, kurz darüber nachzudenken, wann du dir das letzte Mal Zeit zum Nichtstun genommen hast. Mindestens 10 ungestörte Minuten. Und mit „Nichts“ meine ich auch „Nichts“. Also keine E-Mails, keine Handy-Nachrichten, kein Internet, kein Fernsehen, keine Gespräche, kein Essen, kein Lesen, noch nicht einmal ein Schwelgen in Erinnerungen oder das Schmieden von Zukunftsplänen. Einfach nichts tun. Du muss bestimmt sehr weit zurückdenken.
Das Hirn im Leerlauf laufen lassen, meditieren oder tagträumen fällt den meisten Menschen schwer. Viele erfüllt der Gedanke ans „Nichtstun“ sogar mit Unbehagen. Eine Studie der US-Universität Virginia im Jahr 2014 zeigt, dass viele Menschen eher bereit sind, sich zu verletzen, als nichts zu tun. Die Leiter der Studie berichteten im Fachjournal „Science“, wie schwer es den Testpersonen fiel, ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. So trafen 18 von 42 Testpersonen die widersinnige Entscheidung, sich lieber selbst einen Elektroschock zu verpassen als sich 15 Minuten intensiv mit den eigenen Gedanken zu beschäftigen.
Das ist doch außergewöhnlich, oder? Wir reden hier über unseren Geist. Der Geist, unsere nützlichste und kostbarste Quelle, durch den wir jeden einzelnen Moment unseres Lebens wahrnehmen, der Geist, auf den wir uns verlassen, um als Individuen glücklich, zufrieden und emotional stabil zu sein, zugleich aber auch freundlich und bedacht und rücksichtsvoll in unseren Beziehungen zu anderen. Derselbe Geist hilft uns konzentriert, kreativ, spontan zu sein, und bei allem, was wir tun, das absolut Beste zu geben.
Und doch nehmen wir uns keine Auszeit, uns um ihn zu kümmern. Wir verbringen mehr Zeit damit, uns um unsere Autos, unsere Kleidung und unser Haar zu kümmern.
Und in der Folge sind wir natürlich gestresst. Du weisst schon: Der Geist ist am Rotieren, er dreht sich im Kreis, so viele schwierige, verwirrende Gefühle, und wir wissen nicht genau, wie wir damit umgehen sollen und sind dadurch leider so abgelenkt, dass wir nicht mehr in der Welt, in der wir leben, präsent sind. Wir verpassen die Dinge, die uns am wichtigsten sind, und das Verrückte ist, dass jeder annimmt, tja, so ist das Leben, also machen wir eben so weiter. Aber so muss es nicht sein.
Dabei wäre das Nichtstun, das Ausatmen und Nachdenken, höhere Wertschätzung und Verständnis für den gegenwärtigen Augenblick in unserer schnellen Zeit so wichtig.
Ich meine damit, sich nicht in Gedanken zu verlieren, nicht abgelenkt zu werden, nicht von schwierigen Gefühlen überwältigt zu werden, sondern stattdessen zu lernen, im Hier und Jetzt zu sein, sich seiner bewusst zu sein, präsent zu sein.
Der gegenwärtige Augenblick wird so unterschätzt. Es klingt so normal, jedoch verbringen wir so wenig Zeit im gegenwärtigen Augenblick, dass es alles andere als normal ist. Einer kürzlich erschienenen Harvard-Studie zufolge verliert sich unser Geist durchschnittlich fast 47 % der Zeit in Gedanken. 47 Prozent! Zugleich ist dieses ständige Gedankenkreisen auch eine direkte Ursache fürs Unglücklichsein.
Nun, wir haben eine begrenzte Zeit auf der Erde, und dann auch noch das halbe Leben in Gedanken versunken und möglicherweise ziemlich unglücklich zu sein, keine Ahnung, das ist doch eigentlich ziemlich tragisch.
Besonders, wenn man etwas dagegen tun kann, wenn es eine positive, angewandte, ausführbare und wissenschaftlich erwiesene Methode gibt, die es unserem Geist erlaubt, gesünder, achtsamer und weniger abgelenkt zu sein.
Heilsames Nichtstun
Und das Schöne daran ist: Obwohl man dafür nur ungefähr mindestens 10 Minuten pro Tag braucht, beeinflusst es unser ganzes Leben.
Aber zuerst müssen wir wissen, wie wir es richtig angehen, um das Beste herauszuholen. Man kann das Nichtstun auch als so eine Art Meditation betrachten.
Die meisten Leute nehmen an, dass es beim Meditieren darum geht, Gedanken anzuhalten, Gefühle loszuwerden, den Geist zu kontrollieren, aber eigentlich ist es ganz anders. Es geht vielmehr darum, einen Schritt zurück zu machen, die Gedanken klarer wahrzunehmen, ihr Kommen und Gehen zu erleben, das Kommen und Gehen von Gefühlen, ohne sie zu beurteilen, aber mit einem entspannten, konzentrierten Geist.
Nun gibt es im Leben und in der Meditation Zeiten, wenn der Fokus etwas zu intensiv wird und das Leben sich sehr angespannt anfühlt. Eine sehr unangenehme Art, sein Leben zu führen, wenn man sich so verspannt und gestresst fühlt. Zu anderen Zeiten nehmen wir vielleicht den Fuß etwas zu sehr vom Gas und alles fühlt sich eher ein bisschen langweilig an.
In der Meditation schlafen wir dann natürlich ein. Also suchen wir nach Gleichgewicht, konzentrierter Entspannung, bei der wir die Gedanken kommen und gehen lassen können, ohne darin verwickelt zu werden. Nun, wenn wir lernen, achtsam zu sein, werden wir normalerweise von einem Gedanken abgelenkt.
Angenommen, das ist ein beunruhigender Gedanke. Alles läuft gut und plötzlich sehen wir diesen beunruhigenden Gedanken und denken: „Oh, wusste gar nicht, dass mich das beunruhigt.“ Man kommt auf ihm zurück, wiederholt ihn. „Oh, beunruhigend. Ich bin wirklich beunruhigt. Mensch, so viele Sorgen.“Und ehe man sich versieht, machen wir uns Sorgen, dass wir uns Sorgen machen. Das ist doch verrückt. Das tun wir ständig, selbst im Alltag.
Erinnere dich mal daran, als du das letzte Mal einen wackligen Zahn hatten. Du weisst, er wackelt, und du weisst, er tut weh. Und was machst du alle 20-30 Sekunden? Du denkst: „Er tut wirklich weh.“ Wir verstärken es nur noch, oder? Wir sagen es uns immer wieder und tun es die ganze Zeit.
Nur wenn wir lernen, den Geist zu beobachten, können wir gleichzeitig diese Geschichten und Gedankenmuster loslassen. Wenn du dich aber hinsetzt und den Geist wie oben beschrieben beobachtest, siehst du vielleicht viele verschiedene Muster. Du triffst vielleicht auf einen Geist, der ruhelos ist – die ganze Zeit. Sei nicht überrascht, falls du Aufregung verspürst, wenn du dich zum Nichtstun hinsetzt und dein Geist sich so anfühlt.
Vielleicht findest du einen sehr abgestumpften, langweiligen, fast mechanischen Geist vor und es scheint so, als ob du aufstehst, arbeiten gehst, essen, schlafen, aufstehen, arbeiten. Oder es ist ein winziger Gedanke, der an dir nagt, der immerzu im Kopf seine Kreise dreht.
Das Nichtstun bietet die Gelegenheit, die Möglichkeit, zurückzutreten und eine andere Perspektive einzunehmen, um zu sehen, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie scheinen. Wir können nicht jede Einzelheit ändern, die uns im Leben widerfährt, aber wir können die Art und Weise ändern, wie wir sie erleben.
Das ist das Potenzial von Nichtstun und Achtsamkeit. Es bedarf keiner Räucherstäbchen und man muss auch nicht auf dem Fußboden sitzen. Man braucht einfach nur zehn Minuten am Tag, in denen man einen Schritt zurück tritt und sich dem Augenblick widmet, um so eine bessere Wahrnehmung der Konzentration, Ruhe und Klarheit im Leben zu bekommen. Ausserdem bringt das Nichtstun auch gesundheitlich Vorteile mit sich, denn die Studien haben gezeigt, dass Innehalten und Nichtstun die Aktivität der Gehirnwellen verlangsamt, den Blutdruck senkt, die Durchblutung fördert, den Energiehaushalt des Körpers verbessert, Stress reduziert und das Immunsystem stärkt.
Ausgleich finden in der Natur
Gerade die jetzige Jahreszeit bietet sich an, Geist und Seele etwas Gutes zu tun. Statt eines vollgepackten Tagesprogramms könnte man jetzt wieder Zeit finden für „lange Weile“. Raus in die Natur, schauen, gehen und an schönen Plätzen verweilen. Dass schon der Anblick von Wiesen und Bäumen einen erholsamen Effekt hat, ist mittlerweile sogar wissenschaftlich bewiesen. Im Gegensatz zur städtischen Umgebung wird unser Geist in der Natur nicht ständig mit neuen Reizen bombardiert und kann sich in der Ungestörtheit besonders gut regenerieren.
In alten chinesischen Schriften heißt es: „Beim Nichtsmachen bleibt nichts ungemacht“. Pausen sind NICHT nichts. Sie sind der Dünger für wichtige Erfahrungen und einmalige Erlebnisse.
Probiere das Nichtstun aus – wirklich gar nichts tun. Solltest du es schaffen, das Nichtstun eine Zeit lang durchzuhalten, wirst du bemerken, was sich alles so tut. Du wirst an dir eine Kraft und Energie, eine geistige Klarheit und Entscheidungsfreudigkeit entdecken, die du nie für möglich gehalten hättest.
Empfehlungen zum Thema:
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Quelle und Inspiration: ted.com/talks/andy_puddicombe_all_it_takes_is_10_mindful_minutes
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