Tiere haben oft ein unglaubliches Gespür für Dinge, die noch gar nicht passiert sind, und einen Orientierungssinn, der an Wunder grenzt. Vor allem Hunde und Katzen spüren häufig, wann ihr Besitzer nach Hause kommt, manche, dass „ihr Mensch“ in der Ferne einen Unfall erleidet. Andere Tiere finden über unglaubliche Distanzen ihren Weg nach Hause oder spüren Katastrophen voraus. Diese Verhaltensweisen deuten darauf hin, dass Tiere über telepathische Fähigkeiten verfügen. Ihre Kommunikation scheint durch ein soziales bzw. morphisches Feld gesteuert zu werden – auch in ihrer Beziehung zu Menschen.
Hört auf die Tiere
Weshalb entkamen so viele Tiere der Flutwelle im Dezember 2004?
Viele Tiere retteten sich vor der großen Flutwelle in Asien am 26. Dezember 2004. In Sri Lanka und auf Sumatra wanderten Elephanten in höher gelegene Gelände, bevor die Riesenwelle zuschlug. Dasselbe geschah in Thailand, wo sie zuvor noch lautstark trompeteten. Ein Dorfbewohner in Bang Koey (Thailand) berichtete, eine Büffelherde sei auf einer Weide nahe am Strand gewesen und habe „plötzlich die Köpfe gehoben und zum Meer hinausgeguckt, mit steil aufgerichteten Ohren“. Sie hätten sich umgedreht und seien im Galopp den Berg hinauf gestürmt, gefolgt von den verwunderten Dorfbewohnern, die dadurch ihr Leben retteten. Am Strand von Ao Sane nahe Phuket rannten Hunde die Berge hinauf, und bei Galle auf Sri Lanka wunderten sich die Hundebsitzer, dass ihre Tiere den üblichen morgendlichen Spaziergang am Strand verweigerten. Im Bezirk Cuddalore in Südindien flohen Büffel, Ziegen und Hunde, ebenso wie brütende Flamingos, um sich auf höheres Gelände zurückzuziehen. Auf den Andamanen-Inseln verließen Ureinwohner-Stämme die Strandregion, da sie durch das Verhalten der Tiere gewarnt waren.
Woher wussten sie das?
Die übliche Annahme lautet, dass die Tiere das Erzittern des Bodens durch das Unterwasser-Erdbeben spürten, doch diese Erklärung überzeugt mich nicht. Das Zittern der Erde hätte man überall in Südostasien gespürt, nicht nur in den betroffenen Küstenregionen. Und wenn die Tiere Erdbebenkatastrophen an Hand des leichten Zitterns der Erde vorhersagen können, warum können das dann nicht die Seismologen?
Tieren wissen anscheinend auch im voraus Bescheid, wenn es sich um andere Arten von Katastrophen handelt. In meinem neuesten Buch „Der siebte Sinn des Menschen“ findet sich eine Zusammenfassung von ungewöhnlichem Tierverhalten vor Erdbeben in jüngster Vergangenheit, darunter beim Erdbeben in Kalifornien, dem in Kobe 1995 und dem in Assisi im Jahr 1997. In allen Fällen gab es zahlreiche Berichte über wilde Tiere und Haustiere, die mehrere Stunden oder sogar Tage vor dem eigentlichen Beben ein ängstliches oder sonst ungewöhnliches Verhalten zeigten. Dasselbe geschah bei dem Erdbeben in der Türkei im Jahr 1999, dessen Epizentrum in der Nähe von Izmir lag. Stunden vor dem Beben jaulten die Hunde, und auch viele Katzen und Vögel verhielten sich auffällig.
Am 28. Februar 2001 ereignete sich im Raum Seattle ein Beben der Stäke 6,8, und auch hier verhielten sich vorher Tiere auffällig. Von einzelnen Katzen wurde berichtet, sie hätten sich anscheinend ohne Grund bis zu 12 Stunden vor dem Erdbeben versteckt. Andere Tiere verhielten ein bis zwei Stunden vorher ängstlich inne oder „spielten verrückt“. Hunde bellten unaufhörlich, Ziegen und andere Tierarten verhielten sich auffällig.
Niemand weiß, wie es kommt, dass Tiere ein herannahendes Erdbeben spüren. Vielleicht sind es kaum wahrnehmbare Schwingungen in der Erde oder sie riechen Gase, die kurz vor dem Erdbeben aus der Tiefe freigesetzt werden. Vielleicht nehmen sie auch Veränderungen im Magnetfeld der Erde wahr oder sie könnten Zukünftiges auf eine Weise spüren, die sich unserem wissenschaftlichen Verständnis bisher entzieht, als eine Art Vorahnung.
Tiere können auch von Menschen herbeigeführte Katastrophen vorher spüren, z. B. Bombenangriffe. In meinem Buch berichte ich, wie sich in Deutschland und in Großbritannien viele Familien im Zweiten Weltkrieg auf ihre Haustiere verließen, um sich auf nahende Luftangriffe einzustellen, lange bevor der offizielle Fliegeralarm ertönte. Dies ließ sich bereits beobachten, wenn die Flugzeuge noch Hunderte von Kilometern entfernt waren und lange bevor die Tiere etwas hören konnten. In London spürten sogar einige Hunde die V-2-Angriffe, bei denen es sich um Überschallgeschosse handelte, die man vorher gar nicht hören konnte.
Ungewöhnliches Verhalten bei Tieren beobachtet man auch vor Lawinen. Am 23. Februar 1999 zerstörte eine Lawine den österreichischen Ort Galtur in Tirol, wobei mehrere Dutzend Menschen umkamen. Am Tag zuvor waren die Gämsen aus den Bergen herabgekommen, was sie sonst nie tun. Durch Umfragen in Alpendörfern in Österreich und der Schweiz fand ich heraus, dass Gämsen, Steinböcke und Hunde zu den Tieren gehörten, die Lawinen am leichtesten vorher spürten. Diese Fähigkeit könnte, auch wenn man die Ursache noch nicht kennt, für die Tiere in den Bergen einen Überlebenswert haben, so dass hier die natürliche Selektion greifen würde.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen, ist die Fähigkeiten von Tieren, Katastrophen vorher zu spüren, von westlichen Wissenschaftlern ignoriert worden. Sie verwerfen solche Geschichten als Einbildung oder Aberglauben. In China dagegen rufen die Behörden die Bevölkerung seit den 1970-er Jahren in erdbebengefährdeten Gebieten auf, ungewöhnliches Tierverhalten zu melden. Auf diese Weise haben die chinesischen Wissenschaftler eine beeindruckende Datensammlung angelegt, mit deren Hilfe sie Erdbeben vorhersagen konnten. In einigen Fällen wurden Warnungen herausgeben, die es ermöglichten, dass Städte schon Stunden vorher evakuiert werden und Zehntausende Menschenleben gerettet werden konnten.
Wenn man wie die Chinesen auf ungewöhnliches Tierverhalten achtet, könnte man nicht nur in China, sondern auch in Kalifornien, Griechenland, der Türkei, Japan und anderswo Warndienste einrichten. Über die Medien könnte man Millionen von Tierhaltern und Landwirten in erdbebengefährdeten Gebieten aufrufen, bei diesem Projekt mitzumachen. Man könnte ihnen sagen, welche Art Verhalten die Tiere kurz vor einem Erdbeben häufig zeigen, als Zeichen der Besorgnis oder Angst. Sobald die Menschen das bei ihren Tieren beobachten, können sie eine Telefon-Hotline mit einer leicht zu merkenden 0800-Nummer anrufen oder eine E-Mail schicken.
Per Computer könnten die Meldungen nach ihren Ursprungsorten analysiert werden. Wenn es auffällige Häufungen gibt, könnte ein Alarm gegeben werden, bei dem die Orte auf der Landkarte hervorgehoben werden. Es wird immer einige Fehlalarme von Leuten geben, deren Tiere vielleicht krank sind, oder auch einfach schlechte Scherze. Doch wenn es plötzlich Meldungen in großer Zahl aus einem bestimmten Gebiet gibt, könnte es bedeuten, dass ein Erdbeben bevorsteht. Das gleiche Verfahren wäre bei Tsunamis denkbar.
Um die Möglichkeiten eines Tierwarnsystems zu erforschen, braucht man nur einen Bruchteil der Kosten, die die gegenwärtige Erdebeben- und Tsunamiforschung verschlingt. Sie würde ganz sicher zu Ergebnissen führen und wahrscheinlich viele Leben retten.
Derzeit werden Millionen in Tsunami-Warnsysteme gesteckt. Meine Hoffnung ist es, dass die dafür Verantwortlichen nicht gering achten, was uns die Tiere sagen können.
Quellen: Rupert Sheldrake, Biologe und Buchautor. / Deutsch von Helmut Lasarcyk
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