Wie wir die psychische Gesundheit unserer Kinder zerstören, ohne es zu merken

Ein Beitrag von: Tracy Gillett:

Als mein Vater aufwuchs, hatte er lediglich einen Pullover.
Er erinnert sich sehr gut daran, wie er auf ihn Acht gab. Wenn an den Ellenbogen Löcher waren, flickte meine Großmutter sie. Wenn er seinen Pulli verlor, musste er jeden Schritt zurück gehen, den er tat, um ihn wieder zu finden. Er achtete auf ihn, als wäre er das kostbarste Geschenk.

Er hatte alles, was er brauchte und nicht mehr. Die einzige Regel, die es gab, war zum Essen zu Hause zu sein. Meine Großmutter wusste ganz genau, wo ihre Kinder waren.

Sie waren draußen, bauten Festungen, fertigten Pfeil und Bogen an, sammelten Blutergüsse und blutige Knie und hatten ihre Zeit des Lebens. Sie waren versunken ins Kind-Sein.

Aber die Welt hat sich seit dem verändert. Wir sind anspruchsvoller geworden und sind in eine einzigartige Periode eingetreten, in der mehr als nötig bereitgestellt wird. Dadurch kreieren wir unwissend eine Umgebung, in der unsere seelische Gesundheit mehr und mehr leidet.

Als ich das Buch „Simplicity Parenting“ (Vereinfachte Kindheit) von Kim John Payne las, blieb mir eine wichtige Botschaft im Kopf hängen. Normale persönliche Eigenarten kombiniert mit dem Streß von „zu viel“, kann Kinder in eine Störung bringen. Ein Kind welches strukturiert ist, kann in ein krankhaftes Verhalten rutschen. Ein verträumtes Kind könnte die Fähigkeit verlieren, sich zu fokussieren.

Payne führte eine Studie durch, in welcher er Kindern, die eine Defizit-Störung haben, das Leben vereinfachte. Innerhalb vier kurzer Monate, veränderten sie sich zu 68% von klinisch disfunktional in klinisch funktional. Ebenso wiesen diese Kinder zu 37% eine Steigerung in der akademischen und der kognitiven Begabung. Ein Effekt, den man mit Ritalin oder ähnlichen Arzneimitteln nicht erreicht.

Als ein junges Elternteil empfinde ich zweigeteilt: bekräftigend und erschreckend. Wir haben die Aufgabe und Verantwortung für eine Umgebung für unsere Kinder zu sorgen, in welcher sie physisch, emotional und seelisch aufblühen können.

Also was haben wir falsch gemacht und wie können wir es ändern?

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Die Last von „zu viel“

Payne arbeitete früher ehrenamtlich in Flüchtlingscamps in Jakarte, wo Kinder von postraumatischen Störungen belastet waren. Er beschrieb sie als „unruhig, nervös, hyperaktiv und immer auf der Hut vor Neuerungen“.

Jahre später führte Payne eine private Praxis in England, in welcher er viele wohlhabende englische Kinder hatte, die die selben Verhaltensweisen, wie die Kinder in Kriegsgebieten, aufwiesen. Warum zeigten die perfekt lebenden Kinder ähnliche Symptome an?

Payne erklärte, auch wenn sie in einer sicheren Umgebung leben, leben sie seelisch jedoch auch in einer Art von Krieg. „Als Beteiligte der elterlichen Sorgen, Ängste, Gewohnheiten, Ambitionen und die schnelle Art zu leben, bauen diese Kinder ihre eigenen Grenzen, ihren eigenen Grat an Sicherheit in Gewohnheiten aus, welche nicht sehr hilfreich sind.“

Leidend unter einer dauerhaften Stress-Reaktion, als Resultat von einem „zu viel“, entwickeln Kinder ihre eigenen Strategien, um sich sicher zu fühlen. Eltern und die Gesellschaft sind sich bewusst über die Notwendigkeit, unseren Kindern eine sichere Umgebung zu erschaffen.

Wir haben die gesetzliche Verpflichtung eines Autokindersitzes, Fahrradhelme etc. Aber für die seelische Gesundheit von unseren Kindern zu sorgen, sieht ziemlich düster aus.

Traurigerweise fahren wir dieses Level noch höher. Moderne Kinder sind einer konstanten Reizüberflutung von Informationen ausgesetzt, welche sie nicht verarbeiten können. Sie wachsen in einer noch schneller lebenden Gesellschaft auf, indem wir sie in Erwachsenen-Rollen stecken und unsere Anforderungen wachsen immer mehr in diese Richtung. So suchen diese Kinder nach anderen Aufgaben in ihrem Leben, welche sie kontrollieren können.

Die vier Säulen des Überflusses

Naturgemäß wollen wir unsere Kinder schützen und ihnen den besten Start ins Leben schenken. Wenn wir denken, dass ein bisschen gut ist, denken wir wahrscheinlich auch, mehr ist besser – ist es das?

Wir animieren sie zu endlosen Aktivitäten, Fussball, Musik, Kampfkunst, Gymnasik, Ballet. Wir planen ihren Tagesablauf mit Präzesion, sowie ihre Freispiel-Zeit. Wir füllen jede Lücke mit Lehrbüchern, Geräten und Spielsachen. Ein durchschnittliches westliches Kind hat ca. 150 Spielsachen und bekommt jedes Jahr 70 neue. Mit so viel Dingen wird ein Kind verblendet und ist schlichtweg überfordert in seiner Wahl.

Sie spielen oberflächlich, anstatt dass sie sich in das Spiel vertiefen und sich in ihrer wilden Vorstellungskraft verlieren.

„Vereinfachte Kindheit“ ermuntert Eltern, weniger Spielsachen bereitzustellen, damit die Kinder sich mehr in diese vertiefen können. Payne beschreibt die vier Säulen des Überflusses so:
Zuviel Spielsachen, zuviel Auswahl, zuviel Infomationen und zuviel Geschwindigkeit.

Wenn Kinder überfordert sind, verlieren sie die wertvolle Zeit, in der sie herunterfahren können, um fähig zu sein zum Erkunden, zur Reflektion und Anspannungen loszulassen. Zuviel Auswahl zerfrisst das Glücklichsein. Den Kindern das Gelangweilt-Sein zu rauben, beraubt sie der Fähigkeiten der Kreativität und des selbstbestimmten Lernens. Und am allerwichtigsten, „zuviel“ stiehlt wertvolle Zeit.kpusDie Kindheit schützen

Langsam hat die moderne Gesellschaft das einzigartige Wunder der Kindheit beschädigt, neubestimmt und sie hat die unreifen Gehirne unserer Kinder, in den Versuchen am Ball zu bleiben, ertränkt. Viele nennen das „einen Krieg an die Kindheit“.

Der Entwicklungspsychologe David Elkind berichtet, dass Kinder mehr als 12 Stunden in der Woche an freier Spielzeit verloren haben. Die Zeit für das Freispiel ist knapp. Selbst die Vorschulen und Kindergärten sind intellektuell gesteuert geworden. Daneben haben viele Schulen die Pausen verkürzt oder teilweise gestrichen, so dass die Kinder noch mehr Zeit mit lernen verbringen.

Die Zeit, die Kinder im organisierten Sport verbringen, führt zu einem deutlichen Kreativitäts-Abfall bei Jungerwachsenen, während freie sportliche Aktivitäten zu einem Kreativitäts-Anstieg führt. Es ist nicht der organisierte Sport an sich, welcher die Kreativität zerstört, sondern das Abhandenkommen von Pausen für sich selbst. Nur 2 Stunden in der Woche von unstrukturieren Aktivitäten, hebt die Kreativität von Kindern auf sehr hohe Level.

Eltern, nimmt es in die Hand!

Wie schützen wir als Eltern unsere Kinder in dieser neuen „normalen“ Gesellschaft?

Einfach in dem wir „Nein“ sagen. Wir schützen unsere Kinder und sagen Nein, so können wir Platz für sie frei schaufeln, wo sie einfach Kind sein können. Nein, Sam kann am Samstag nicht zur Geburtstagsfeier kommen. Nein, Sopie wird diese Woche kein Fussballtraining machen.

So stellen wir eine regelmäßige Auszeit her, in der sie Ruhe und Trost bekommen in dieser chaotischen Welt. Das bietet eine Freigabe von Anspannungen. Die Kinder wissen, dass sie sich auf etwas verlassen können und es erlaubt ihnen, sich zu erholen und zu wachsen, was einem unverzichtbarem Zweck in der kindlichen Entwicklung dient.

Wir filtern somit unnötige Beschäftigungen und vereinfachen ihr Leben. Wir sprechen am Essenstisch nicht über die globale Erwärmung mit einem 7-jährigen Kind. Wir schauen die Nachrichten, wenn das Kind im Bett ist. Wir entfernen überschüssiges Spielzeug aus ihren Zimmern, wenn sie schlafen. Wir stellen ihre Kindheit wieder her und honorieren sie.

Unsere Kinder müssen das ganze Leben Erwachsene sein und müssen mit den Komplexitäten des Lebens zurecht kommen und haben nur flüchtig Zeit, in welcher sie Kind sein dürfen. Verrückte, Spaß liebende Kinder.

Die Kindheit hat eine sehr große Absicht. Es ist nicht etwas, wo man „durch muss“. Sie muss geschützt werden und die jungen Seelen werden sich darin entfalten, nur so können sie gesunde und glückliche Erwachsenen werden. Wenn sich die Gesellschaft zu sehr mit der Kindheit misst, reagieren junge Gehirne. Durch das Anbieten eines Gespürs von Balance und Aktivität, die Kindheit zu schützen, geben wir unseren Kindern das größte Geschenk, welches sie jemals erhalten werden.

 


Quelle: raisedgood.com Übersetzung: Andrea Deelaia

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Kommentare

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4 Kommentare zu „Wie wir die psychische Gesundheit unserer Kinder zerstören, ohne es zu merken“

  1. Die vermeintlich kindliche Frühförderung- die. wie im Beitrag beschrieben- nur eine intellektuelle „Fo(ö)derung“ ist- ist in Wahrheit eine Konditionierung, die das brave Einfügen in unsere Gesellschaft- allen Voran dem Dienen für den Kapitalismus- dient.

    Diese Förderung geht einher mit einer Menge Leistungsdruck und einer Erwartungshaltung seitens der Eltern, die es eigentlich gut meinen, denn sie haben einfach Angst: Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg, Angst beruflich nicht mithalten zu können- besonders in gehobenen Positionen- und Angst, das Kind könne „es nicht schaffen“

    Aber das System der Fö(o)derung beruht auch auf dem Zuckerbrot und Peitsche-Prinzip: Die Kinder werden mit Zeug belohnt, den sie nicht brauchen und mit Erwartungshaltungen und einer Liste an Bedingungen, die sie zu erfüllen haben um im Gegenzug für Anerkennung zu erhalten: Eine GGBB–> Gesellschaft zur gegenseitigen Befriedigung von Bedürfnissen. Gleichzeitig werden die Kinder auf diese Weise schon früh zu Konsumsüchtigen gemacht: Alles, eas der Markt an Neu und Cool hergibt, wird begehrt. Und der Konsummarjt ist schnelllebig.

    Ein befreundeter Anwalt sagte vor Kurzem zu mir: Meine Kinder WOLLEN alle Einsen in der Schule (er hat zwei Grundschulkinde) und beschwerte sich über unfare Klassenlehrer, die schlechte Noten verteilen. Ich dachte nur: Deinen Kindern sind Noten sowas von egal, aber die Aberkennung der Eltern und die Enttäuschung der Eltern ist ihnen nicht egal!

  2. Ich empfinde diese intellektuelle vermeintliche Förderung aber auch als kalt, denn es ist ein Handel, ein Deal zwischen Kindern und Eltern/Lehrern, den die Kinder nur verlieren können: Tue was ich will, und Du bekommst Lob. Enttäusche aber ja nicht meine Leistungserwartungen. Das ist vor dem Hintergrund, das Kinder seelisch von der Anerkennung und Annahme der Eltern leben, tragisch. Ein Kind stellt umgekehrt keine Bedingungen. Es liebt einfach und idealisiert seine Eltern heillos. Wie verletzend muss es dann für ein Kind sein, dass es etwas tun muss, damit es Lob bekommt.

    Wie der Vater dieser ermordeten Anneli im Gericht sagte: Sie war eine gute Schülerin, sie hätte studiert, eine Familie gegründet und einen Platz in unserer Firma gefunden–> Ein vorgefertigter Lebensweg für eine 17-Jährige, den sich der Vater in seinem Kopf zusammengebastelt hat. Das Kind hätte vielleicht lieber ein Kunststudium begonnen, um in England in einer lesbischen Beziehung als freie Künstlerin glücklich zu werden? Was mich daran erschrocken hat und was hier zur Normalität gehört ist, dass Eltern den Weg ihrer Kinder im Inneren vorzeichnen, zumindest gewisse Erwartungen haben, die nur ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen. Das ist Verstrickung. Denn ich lasse in diesem Moment meines nicht mehr bei mir, sondern projiziere es auf das Kind, das umgekehrt im Laufe seines Heranwachsens diese Erwartungen übernimmt und glaubt, es seien seine eigenen (wie das ja auch mit dem Selbstbild und übernommenen Glaubensmustern passiert).

    Diese Kinder wachsen meines Erachtens in einer emotional kalten Welt auf, in der wenig auf sie eingegangen wird, in der sie fragwürdige Normen eingeimpft kriegen und in der keine Zeit, aber auch keine innere Ruhe ist, um dem Kind zu begegnen: Gespräche, Spiele und körperliche Zärtlichkeiten. Ich sehe das auch in Grundschulen und Kindergärten: Die Kinder werden auf den Hof gelassen, wie Hunde, die Auslauf brauchen und Lehrer, als auch Erzieher stehen da und unterhalten sich untereinander oder beschäftigen sich mit ihrem Smartphone.

    Gleichzeitig fehlt die echte Förderung des Kindes, die nicht an Erwartungen geknüpft sein sollte, wie das Kind zu sein hat, sondern sich an dem orientieren sollte was es auf diese Erde mitbringt.

    In welchen Familien gibt es noch echte Gespräche, die über Smalltalk und organisatorische Dinge hinaus gehen?

    Das Ganze dreht sich irgendwann um: Aus Kindern werden kühle und angepasste Erwachsene, die glauben ihre alten Eltern seien in schlechten Altenheimen gut aufgehoben.

    1. Eine durchwegs richtige Antwort. Leider ist dies ein sehr perfide eingefädelter Plan, den die sog. Eliten ganz bewußt verfolgt haben. Deswegen wird diese „unbrauchbar“ gewordene Brut auch bald vom Erdball gefegt werden, damit ein neuer Anfang mit gesundem Humanmaterial möglich ist.

  3. Einen wunderschönen guten Abend! Meine Meinung zu dem Thema: Halllooooo? Es sind Kinder, unsere Kinder. Wir waren Kinder. Meine Kids klettern noch mit 12/13 auf Bäumen rum, spielen Fussball auf dem eigenen Rasen und gehen on Tour mit Rad. Da sage ich nur, dass sie um die Uhrzeit zu Hause sein sollen (nicht müssen, da man sich ja eh immer um fünf bis zehn Minuten verspätet) und fertig. Wir spielen Kartenspiele, Brettspiele und beschmeißen uns mit Nudeln am Tisch! Mein Gott. Für mich ist nicht wichtig die Sauberkeit sondern der reine Spaßfaktor. Die Kinder haben schon genug Stress und müssen viel leisten in den Schulen, da müssen Kinder einen Ort haben um abzuschalten. Fünfte und sechste Klasse – und das bis auf Freitag immer 8 / 9 Stunden (Pausen sind weggefallen – nur damit es ruhiger wird in der Schule). Wir Erwachsene sind nach so einem Tag aber auch k.o. Da freut man sich doch auf ein kleines bischen „Scheiße-bauen“ zu Hause.

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