Foto: Exclusivepix/@Subhash Sharma
Sie essen kein Fleisch, töten keine Tiere, fällen keine Bäume: die Bishnoi, eine kleine indische Glaubensgemeinschaft im Gliedstaat Rajastan. Hier, am Rand der Wüste Thar, betreiben sie seit 500 Jahren radikalen Tierschutz – dort, wo Armut grassiert und Menschen hungern.
Die Bishnoi leben in der indischen Thar-Wüste im „Jodhpur district“ in Rajastan (am Rande von Pakistan).Die Bishnoi sind eine religiöse Bewegung, die von Jambho Ji gegründet wurde. Es war im Jahr 1451, als Jambaji oder Jambeshwar in eine der Kriegerkasten Rajasthans geboren wurde. Zu jener Zeit war die indische Gesellschaft von Kastenkonflikten und Rivalitäten zwischen Hindus und Muslimen tief zerrissen. In Rajasthan herrschte eine extreme Dürre, ausgelöst durch die fortschreitende Abholzung des Landes. Zur Überwindung der Spaltung der Menschen und zur Rettung des verödenden Landes formulierte Jambaji 29 spirituelle und ökologische Regeln, die von den Gläubigen u. a. Mitleid mit allen lebenden Wesen, Schutz der Natur, Wiederaufforstung, Hingabe an Gott, vegetarische Ernährung, Ehrlichkeit und Reinlichkeit verlangen. So entstand die Gemeinschaft der Bishnoi, die heute vor allem um die Stadt Jodhpur ansässig ist und zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Bauernkasten Indiens zählt. Er stellte 29 ökologische und spirituelle Regeln auf (siehe unten).
Vorreiter in Sachen Umweltschutz
Die Bishnoi leben der Welt ein friedfertiges Leben vor. Sie zeigen durch ihr Verhalten, dass der Mensch imstande ist, ein würdiges Leben zu führen, ohne dass er die Natur quält und ausbeutet – ohne dass er tötet – auch nicht als Nahrung.
Im Mittelpunkt ihres Lebens steht der Khejari Baum (prosopis cineraria), der so ziemlich der einzige Baum ist, der ein wenig an Höhe gewinnt. Er bietet Schatten, Futter und zuletzt – nachdem er an Altersschwäche gestorben ist -auch Bauholz. Für die Bishnoi ist das Pflanzen von Bäumen eine religiöse Pflicht.
Die Bishnois leben von dem, was ihnen die Natur gibt, ohne zu töten. Trotz der sehr schwierigen klimatischen Bedingungen konnten sie seit mehr als 500 Jahren ohne jeglichen Fleischkonsum unbeschadet überleben. Das Volk der Bishnoi lehnt aus religiös-ethnischer Überzeugung jede Tiertötung und jeden Fleischverzehr ab. Sie fällen keinen einzigen Baum und sie töten kein Tier absichtlich. Sie filtern auch das Kochwasser, weil sie so auch die Kleinlebewesen retten, die sich darin befinden. Ihre Häuser sind luftgeflutet und sauber. Die Lehmböden ihrer Behausungen sind mit Kuhdung gepflastert, um sich von Ungeziefern freizuhalten. Männer, Frauen und Kinder strotzen vor robuster und stabiler Gesundheit.. Es gibt einen Kornspeicher um ihre Rationen zu sichern – und ein Wasserbecken zur Wasserspeicherung. Ihre Lebensart ist ruhig, friedfertig, langsam und leicht.
Durch diese respektvolle Haltung gegenüber der Natur und dem lebendigen Wesen leiden die Bishnois nicht an Wassermangel, noch an der Fruchtbarkeit des Landes, das sie umgibt. Sie haben Seen und fruchtbares Land, wohingegen in den umgebenden Gebieten Dürre und Mangel herrscht.
Einen Teil der Ernte geben die Menschen jeweils der Natur zurück. Sie stellen es den Tieren zur Verfügung. Wenn sie Brennholz brauchen, gehen sie lieber Kilometer weit, um am Boden liegende Äste zu finden. Sie wollen keinen Ast eines lebenden Baumes abtrennen.
Auch die wilden, sie umgebenden Tiere merkten sehr schnell, dass sie von den Bishnois nichts zu befürchten haben: so laufen z.B. die Gazellen voller Vertrauen durch die Dörfer, spielen mit den Kindern und werden von den Bishnois voll als Mitgeschöpfe akzeptiert. Die Frauen der Bishnois säugen mutterlose Tiere.
Wer ein Bishnoi-Dorf besucht, wird erstaunt sein, wie viele Antilopen und Gazellen friedlich vom Wegrand aus den vorbeifahrenden Verkehr beobachten, auf der kargen Steppe an den dornigen Akazienbüschen knabbern oder völlig angstfrei auf der Straße spazieren gehen. Nicht einmal eine Stunde dauert die Fahrt von Jodhpur nach Guda, eine Fahrt, auf der Hunderte von Antilopen und Gazellen zu sehen sind. Keines der Tiere hat Angst. Im Bishnoi-Gebiet haben Tiere und Pflanzen nichts zu befürchten.
„Tiere sind uns heilig,“ erklärt Bana Ram aus Guda.“Auf seinem Sterbebett wies uns Jambaji an, nach seinem Tod die Schwarzbock-Antilope an seiner Stelle zu verehren. Der Glaube besteht noch heute.
Kampf gegen Wilderer
Die Bishnoi sind ein äusserst friedfertiges Volk. Doch den Tier- und Baumschutz nehmen sie sehr ernst und gehen gegen Wilderer vor. 1998 kam es zu einem Medienskandal, weil ein Filmstar aus Bombay in der Nähe der Stadt Jodhpur, im Siedlungsgebiet der Bishnoi, geschützte Antilopen schoss. Nach einer Verfolgungsjagd stellten die Bishnoi-Tierschützer den Star, und er landete hinter Gittern.
Doch auch gegen die Jäger der Bhils, einer Volksgruppe aus der Kaste der Unberührbaren, gehen Bishnoi vor: Wenn diese eine Gazelle schiessen, weil sie sie im Restaurant verkaufen wollen, um ihrer Familie zu ernähren, werden sie von Bishnois verfolgt.
„Die Jagd auf den Schwarzbock wäre für uns gleichbedeutend mit einem Anschlag auf unseren Guru. Sobald nur das Gerücht umgeht, ein Jäger sei in unserem Gebiet unterwegs, versammeln sich 500 Dorfbewohner, um dem Übeltäter eine Lektion zu erteilen.“ Ein Jäger in Rajasthan fürchtet darum nichts mehr, als in die Hände der Bishnoi zu fallen. „Einmal erwischten wir einen Hauptmann der Luftwaffe bei der Jagd in unserem Gebiet. Wir zogen ihn nackt aus und zwangen ihn, sich mitten im Sommer bei 50° C im Schatten in den heißen Wüstensand zu legen. Der wird nie wieder von der Jagd träumen.“
Der Schutz der Natur um jeden Preis ist Teil der Kultur der Bishnoi. Voller Engagement kämpft dieser tapfere, wehrhafte Volksstamm für den Schutz der Fauna und Flora seiner Heimat. Seit die Bewohner von Guda kürzlich einige berühmte indische Filmstars bei der Jagd ertappten, lassen sie Fremde ihr Gebiet nur noch in Ausnahmefällen betreten. M. L. Sonal, der örtliche Forstbeamte, warnt mich sogar ausdrücklich davor, Bishnoi-Dörfer zu besuchen: „Die Bishnoi fühlen sich für den Schutz der Natur so sehr verantwortlich, dass sie gefährlich werden, wenn sie Tiere und Pflanzen bedroht sehen.“
Diese Menschen sind stolz darauf, sterben zu können, um einen Baum zu retten – oder zu hungern, um Nahrung für Tiere sicherzustellen…
Dieser respektvolle Umgang mit der Natur und der Schöpfung beeinflusste natürlich auch die angrenzenden Menschen, welche nicht der Religion der Bishnois angehören. Auch sie schauen sich so manches Verhalten von den Bishnois ab. Wenn allerdings Wilderer in das Gebiet der Bishnois eindringen, ist es mit der Friedfertigkeit vorbei. Dann haben die Wilderer nichts zu lachen, denn die Bishnois wissen die Natur, die unter ihrem Schutz steht, wirkungsvoll zu verteidigen. Selbst die Bishnoi-Frauen sind von den Wilderern gefürchtet.
Respekt gegenüber Tieren und Pflanzen
Bishnoi heisst «29» (Bisch=20, Noi=9), denn ihr Religionsstifter, Guru Jambheshwar, stellte im 15. Jahrhundert 29 Regeln auf. Die meisten davon betreffen den Umgang mit der Umwelt: Man soll keine Tiere töten, keine grünen Bäume fällen, das Trinkwasser filtern, damit keine Lebewesen im Magen landen. Die Bishnoi halten Kühe, wenn die Kühe alt sind, werden sie liebevoll versorgt, bis sie eines natürlichen Todes sterben.
Heute siedeln die meisten der 2,2 Millionen Bishnoi im indischen Gliedstaat Rajastan, am Rand der Wüste Thar. Dort leben trotz misslichen Bedingungen auf einer Fläche von ca. 200’000 Quadratkilometer gut 13 Millionen Menschen. Deren Nahrung ist knapp, die wilden Tiere und die spärliche Vegetation sind unter Druck. Doch die Bishnoi sind überzeugt, dass man nur in der Wüste leben kann, wenn man ihre Lebewesen und Pflanzen respektiert. Dass sie Vegetarier sind, versteht sich von selbst.
Auszug aus den Geboten der Bishnoi
-
Grossmütige und achtungsvolle Beziehung zwischen Mann und Frau
-
Töte niemals ein Tier, egal wie klein es ist
-
Esse niemals Fleisch
- Kastriere nicht einen Bullen, da er dir neues Leben schenkt
-
Schütze das Wilde Leben, denn auch die wilden Tiere spielen eine Rolle, um die Balance der Natur
-
Schafe und Ziegen nicht als Haustiere halten, da sie irgendwann geschlachtet werden müssten
-
Praktiziere höchste Sauberkeit, da es dich von Krankheiten bewahren wird.
- Praktiziere innere und äußere Reinheit
- Bade jeden Tag
-
Hingabe
- Konserviere Wasser für die Nutzung von Mensch und Tier, indem du überall Wasserspeicher baust.
-
Praktiziere Vegetarismus und sei von nichts abhängig – nicht mal von Tee
-
Rauche kein Opium
-
Rauche keinen Tabak – gleich welcher Form
-
Trinke keinen Alkohol
- Befreie vor dem Gebrauch Wasser und Tierdung (Brennstoff) von allen lebenden Wesen
- Nehme nur Nahrung zu dir, die von jemandem zubereitet wurde, der Bishnoi-Anhänger ist
- Faste jede mondlose Nacht
- Erwarte oder suche keine Almosen – auch nicht vom König oder von der Regierung – glaube an die Selbst-Hilfe!
- Entsage Habgier, Egoismus, Zorn und Ärger
- Vergleiche nicht andere mit dir
- Bete dreimal an jedem Tag
- Erwecke jeden Tag das Lob Gottes
- Sei immer zufrieden
- Stehle nicht
- Lüge nicht
- Lasst die Frauen – die Quellen des Lebens – leuchtende orange oder rote Kleider tragen, und die Männer weiß – als Symbol für die ungetrübte Hingabe an den Glauben
- Halte bis zu 30 Tagen keinen Kontakt zu neu gewordenen Müttern und Neugeborenen
- Während der Menstruation dürfen Frauen 5 Tage lang nicht arbeiten
-
Denke, bevor du sprichst
-
Habe Verständnis, zu vergeben
-
Wann immer du dich entscheiden mußt, Gewalt anzuwenden, mag es auch für die Verteidigung eines Baumes oder Tieres sein – empfange den Tod mit Jubel.
-
Kritisiere nicht ohne Grund
- Ehrlichkeit
-
Habe Mitgefühl mit allem, was lebt
-
Fälle niemals einen Baum, warte bis ein Baum herangewachsen, gealtert und gestorben ist, dann kannst du es als Bau-Holz benutzen
-
Verwende nur Brennmaterial wie Kokosnuss-Schale, geklärte Butter, Dung
- Trage keine blauen Kleider
- Beerdige deine Toten einfach, damit die Erde das Fleisch wieder aufnehmen kann – so rettest du auch den Baum, dessen Holz du für den Sarg brauchen würdest!
Diese spirituellen und ökologischen Lebensregeln verlangen von den Bishnoi neben einem respektvollen Umgang miteinander vor allem Mitleid mit allen lebenden Wesen und den Schutz der Natur. Entsprechend verzehren sie weder Fleisch noch Milch, fällen keine Bäume und erachten das Pflanzen von Bäumen als religiöse Pflicht.
Und wenn es sein muss, opfern sie für den Schutz der Natur ihr Leben. Im Jahr 1730 starben 363 Männer, Frauen und Kinder, als sie sich den Soldaten des Maharajas von Jodhpur in den Weg stellten, die auf Bishnoi-Gebiet Bäume für den Bau eines neuen Palastes fällen wollten. Ihr Todesmut beeindruckte den Maharaja so sehr, dass er seine Männer schliesslich zurück beorderte und ein Dekret erliess, welches das Fällen von Bäumen im Lebensraum der Bishnoi ebenso bei Strafe verbot wie das Töten von Tieren. (Die 1987 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Chipko-Bewegung, deren Mitglieder Bäume mit ihrem Körper vor dem Gefälltwerden schützen, geht übrigens auf die friedliche Art des Widerstandes der Bishnoi zurück.) Dass die Selbstopferung bis heute zum religiösen Selbstverständnis dieses Volkes gehört, sorgte im Oktober 1996 landesweit für Schlagzeilen: Bei dem Versuch, eine Herde Gazellen vor Wilderern zu schützen, wurde Nihal Chand Bishnoi erschossen und damit zum Held des Films “Willing to Sacrifice”, der beim ENVIRON’99-Filmfestival eine Auszeichnung erhielt und so Nihal Chand über Indiens Grenzen hinaus bekannt machte.
Trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – des Verzichts, sich die Natur untertan zu machen, gehören die Bishnoi zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Bauernkasten Indiens. Bis heute ist es diesen, auf eine friedfertige Weise radikalen Tier- und Umweltschützern gelungen, ihre traditionelle Lebensweise auch in einer zunehmend globalisierten Welt zu bewahren. Doch immer mehr junge Bishnoi wandern in die Städte ab, während moderne Kommunikationsmittel wie das Handy ihren Weg in die Dörfer gefunden haben, und eine Bishnoi-Homepage einen Platz im World Wide Web. Internet, Chats, E-Groups und MP3 spielen auch eine zentrale Rolle in einem Zehn-Punkte-Programm, das auf dieser Homepage zu finden ist, und mit dem das Überleben dieses Volkes, seiner Werte und Ideale in Zukunft gesichert werden soll. Dem Programm vorangestellt ist jedoch ein Satz aus dem Jahr 1730, er stammt von Amrita Devi, gesagt haben soll sie ihn, bevor sie zum ersten Opfer des Massakers von Khejarli wurde: “Selbst wenn es den eigenen Kopf kostet, einen Baum zu retten – er ist es wert.”
360° GEO REPORTAGE Bishnoi, Tierliebe bis in den Tod
Bis heute versuchen sie ihren Idealen treu zu bleiben, in einer globalisierten Welt, in der wenig Platz für Individuen und Lebensformen jenseits der Moderne ist. Die jungen Bishnoi wandern in die Städte ab. Diejenigen, die bleiben, kämpfen weiter für die Rechte der Tiere, verarzten verwundete Gazellen und pflegen sie in den eigenen Tempeln gesund. Aber sie haben die Zeichen der Zeit erkannt. Längst greift Ramniswas auf moderne Kommunikationsmittel wie das Mobiltelefon zurück, organisiert Demonstrationen, über die am nächsten Tag in der Zeitung berichtet wird. Aber wird das reichen, um den Bishnoi und ihrem Kampf ein dauerhaftes Überleben zu sichern?
Quelle: www.connection.de / Bischnoi / Buch von H-J. Otte: http://www.vegetarismus.ch/bishnoi/otte/index.htm
Internetseite der Bishnoi: http://www.bishnoism.com
5 Pings