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Aug 12

Ist das Grundschulwissen in wenigen Monaten erlernbar?

In diesem inspirierenden Artikel beschreibt eine Freilerner-Familie, wie schnell und effektiv ihre Kinder lernen, weil sie in ihrem eigenen Rhythmus immer gerade das lernen, was sie aktuell am meisten interessiert. Das Lernen geschieht also von innen heraus, ohne Zwang und mit Leichtigkeit. Ganz im Gegensatz zur Staatsschule, wo Lernen mit Zwang und Stress verbunden ist, was laut dem Gehirnforscher Gerald Hüther zu Lernblockaden führt.

 

Gastbeitrag von Line Fuks (Autorin „Eine Familie zieht in die Wildnis“)

 

 

Wir haben vor einigen Jahren eine freie Schule gegründet. Unsere damalige Schulleiterin sagte mir in einem Gespräch, als es um die Lerninhalte des Grundschullehrplans ging, folgenden Satz:
„Das Grundschulwissen passt im Prinzip auf eine CD und ist innerhalb von ein bis drei Monaten erlernbar.“
Diese Grundaussage hat sich in mir eingebrannt und ich fing an genauer hinzuschauen, was es mit dem Lehrplan der Grundschule auf sich hat.

Je nach Bundesland dauert die Grundschulzeit zwischen vier und sechs Jahre. Ich möchte in erster Linie auf die Grundschulzeit von vier Jahren eingehen, wobei sich der Lerninhalt der Grundschulzeit von sechs Jahren nicht sehr von dem der zwei Jahre kürzer dauernden unterscheidet.

Homeschooling

Im Zuge unseres Homeschoolings haben wir den Bildungsweg unserer Kinder am Anfang mit Lernheften gestaltet.

Unsere Kinder waren alle zwischen der ersten und der vierten Klasse. Das Interessante an den ganzen Lernheften war für uns, dass sie sich im Prinzip kaum von den behandelnden Themen voneinander unterschieden. So hatten die Kinder in der dritten und vierten Klasse fast die selben Aufgaben wie die in der ersten oder zweiten Klasse zu lösen.

Gerade im Fach Mathematik war das prägnant. Dort geht es während der gesamten vier Grundschuljahre in der Hauptsache um die vier Grundrechenarten und wenigen anderen Themen wie einfachstes Bruchrechnen und simple Geometrie. Bei denGrundrechenaufgaben vergrößert sich lediglich der Zahlenraum, doch das Grundprinzip, die Rechenarten zu erlernen, bleibt sich gleich.

Farben

Braucht man wirklich vier Jahre um diese Lerninhalte zu bearbeiten? Wir haben uns mit unseren Kindern auf den Weg des „Freilernens“ begeben und können Euch unsere persönlichen Erfahrungen mitteilen, denn mittlerweile sind aus unseren Kindern Teenager geworden.

Zeitfenster des Lernens

An einem Beispiel im Fach Deutsch möchte ich erklären, dass wir an „Zeitfenster des Lernens“ glauben und auch warum wir dies tun. Zeitfenster sind entweder geschlossen oder offen. Wenn sie für das zu behandelnde Thema geschlossen sind, benötigt man sehr viel Zeit, um die Dinge zu lernen und zu verinnerlichen, beziehungsweise sie zu verstehen. Nur die Dinge, die für uns wichtig sind, uns also interessieren, haben die Chance auch verstanden und somit in unserem Langzeitgedächtnis gespeichert zu werden.

Welches aber ist die Art, wie wir zumeist in unserer Schulzeit lernen? Nicht unser Interesse für die Dinge bestimmt womit wir uns beschäftigen, sondern der von anderen Personen festgelegte Lehrplan schreibt uns vor, womit wir uns beschäftigen sollen. Die meisten Lerninhalte haben wir doch nach kurzer Zeit wieder vergessen. Die Überprüfungen haben wir in Form des „Bulimielernens“ hinter uns gebracht. Das bedeutet, wir haben vor Klassenarbeiten sämtlichen Lernstoff unzerkaut in uns hinein geschlungen, um es dann für den Test wieder auszuspucken. Nicht gerade effektiv und nachhaltig. Man könnte es auch sinnlos nennen, oder „für die Katz“.

Sind die Zeitfenster geöffnet, geht das Lernen wie von Selbst, macht Spaß und benötigt nur eine kurze Zeit für das Verinnerlichen und Begreifen. Denn ein geöffnetes Zeitfenster setzt immer das Eigeninteresse des Lernenden voraus. Der innere Antrieb, die Motivation etwas verstehen und begreifen zu wollen, lässt Lernhinhalte wie Butter auf der Zunge zerfließen, ganz ohne die Verkrampfung, die ein Lernen ohne Interesse mit sich bringt.

Lesen lernen

Ich möchte gerne anhand unserer sieben Kinder aufzeigen, wie sie mit dem Thema „Lesen“ umgegangen sind und nummeriere sie einfach dem Alter nach:

1. Unser ältester Sohn hat sich das Alphabet innerhalb einer Woche beigebracht, mit Sandpapier Buchstaben, die wir zuhause herumliegen hatten. Nach etwa einem Monat hat er begriffen, dass man die Buchstaben zusammenfügen muss und sich dann eine völlig neue Welt entblättert. Ab diesem Zeitpunkt war er eine Leseratte.

2. Seine beiden 1 1/2 Jahre jüngeren Schwestern haben sich die Buchstaben mit sechs Jahren beigebracht, indem sie immer wieder fragten: „Was ist das für ein Buchstabe?“. Das eine Mädchen wurde zu einer Leseratte, die andere wollte nicht lesen und begann damit erst mit etwa 12 Jahren. Sie las sehr stockend und „unrund“ und hatte nicht wirklich Spaß dabei.
Wir haben sie weitestgehend in Ruhe gelassen und zugelassen, dass sie keinen Zugang finden kann für sich. Heute, mit 15 Jahren, liest sie gerne Biografien, Erfahrungsberichte und sogar englische Bücher. Sie hat ein sehr fotografisches Gedächtnis und entnimmt Bildern deutlich mehr Informationen als manch anderer.

3. Zwei unserer Mädchen konnten mit vier Jahren bereits die Erstlesebücher lesen und eine von ihnen las mit Wonne mit fünf Jahren „Das Schneekind“ – ein Erwachsenenbuch – und verstand den Inhalt des Gelesenen sehr gut.

4. Unsere beiden Jüngsten haben sich das Alphabet auf dem selben Weg, wie die eben beschriebenen Mädchen, beigebracht: Einer von ihnen hatte schon im Alter von zwei Jahren großes Interesse an Buchstaben und erlernte sie mit einfachen Karten, während der Bruder ihm immer mal wieder, scheinbar nebenbei, über die Schultern lugte und sich so, passiv und von uns unbemerkt, die Buchstaben einverleibte.
Das selbe Prinzip wandte er an, als der eine Sohn von uns mit etwa drei Jahren zu lesen begann. Wieder hat er sich auf dem eher passiven Weg das Prinzip des Lesens begreiflich gemacht, fing jedoch erst vor Kurzem, mit fünf Jahren, mit dem Selberlesen an. Er hat von einem auf den anderen Tag mit dem Lesen begonnen und nun wird einfach alles, was Buchstaben hat, gelesen und er inhaliert förmlich die Buchstabenwelt.
Man spürt ihm seine Freude am Entdecken dieser Welt förmlich an. Welch eine Wonne ein Kind dabei beobachten zu könne, wie es frei und selbstmotiviert eine für sich neue Welt erschließt.

Grundschule

Freiwilliges vs. erzwungenes Lernen

Wir haben erlebt, wie einfach und geschmeidig lernen sein kann, wenn der Impuls von den Kindern ausgeht. Allerdings haben wir auch lernen müssen, was geschieht, wenn man von außen den Kindern das Lernen künstlich nahe bringen will:

Unsere beiden Töchter liebten es, Mathehefte auszufüllen als sie fünf, sechs Jahre alt waren. Wir konnten sie kaum bremsen und uns wurde das als Eltern schon fast zu viel. Denn sie machten ein Heft, wofür man normalerweise ein Jahr Zeit hat, in zwei Wochen fertig. Mit Feuereifer und roten Backen jonglierten sie mit den Zahlen und wir mussten ihnen schon bald Mathehefte der zweiten und dritten Klasse besorgen!

Als sie dann offiziell Schüler waren und wir sie, im Rahmen einer Bildungsvereinbarung, zu Hause beschulen mussten, verspürten sie auf einmal diesen diffusen Zwang nun diese Hefte machen zu müssen. Die Freiheit und Leichtigkeit der Freiwilligkeit war wie weggeblasen. Und von dieser Sekunde an legten sie die Hefte auf die Seite und verloren jeglichen Spaß am Lernen.

Wir hatten durch das Puschen den Zauber des Lernens zerstört. Uns machte das sehr betroffen.

Der Satz der Schulleiterin „Das Grundschulwissen ist in wenigen Monaten erlernbar“ hat sich mit den Jahren bewahrheitet. Unsere Kinder hatten in kurzer Zeit Rechtschreibung, Mathematik und Englisch erlernt, wenn wir sie entscheiden ließen, wann sie es tun wollen. Diese effektive Lernweise, die Zeitfenster der jeweiligen Interessen der Kindern zu nutzen, hat ihnen unwahrscheinlich viel Zeit geschenkt, sich mit den Dingen zu beschäftigen, die sie wirklich interessierten. Unseren Kindern blieb und bleibt viel Zeit zum Spielen, Experimentieren und zum sich beschäftigen mit spezifischen Themen, auch außerhalb des Lehrplans.

Man kann Gras nicht zwingen, zu wachsen, indem man an ihm zieht. Ebenso bei Kindern. Sie lernen unserer Meinung nach freiwillig oder gar nicht. Und da machen sie es nicht anders als wir Erwachsenen. Auch wir lernen nur, wenn wir motiviert dazu sind und es Sinn für uns macht. Nicht ohne Grund wissen die meisten heute von ihrer Schulzeit lediglich 20 Prozent des damals scheinbar Erlernten. Wir behalten und können die Dinge, die unmittelbar für unser Leben wichtig sind und alles andere verschwindet ohne Gebrauch wieder.

Wer das nicht glaubt, kann sich gerne einmal einen Realschultest antun. Die ganz Mutigen schreiben das Abitur nach.

 

Wer mehr von der „Wildnisfamilie“ erfahren möchte, kann gerne ihren Blog unter wildnisfamilie.net besuchen.

Tafel

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