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Susan kaufte ihrem sechsjährigen Sohn John ein iPad, als er in die erste Klasse kam:
„Ich dachte‚ warum soll er nicht dabei sein’“ sagte sie zu mir während einer Therapiesitzung. Johns Schule führte sie in immer niedrigeren Klassen ein und der Techniklehrer hatte ihre erzieherischen Vorteile gepriesen, also tat Susan das, wovon sie annahm, dass es das Beste für ihren Sohn war, der auch gerne las und Baseball spielte.
Sie erlaubte ihm, verschiedene Spiele am iPad zu spielen. Schließlich entdeckte er Minecraft, von dem der Lehrer ihr versicherte, dass es „wie elektronisches Lego“ wäre. In Erinnerung an ihre eigene Lego-Begeisterung ließ sie John also Minecraft spielen.
Zuerst war Susan davon angetan, dass John die Würfelwelt erkundete. Es fiel ihr auf, dass es aber nicht wie ihr Legospiel war – sie hatte nie Tiere umbringen müssen oder seltene Rohstoffe finden, um überleben zu können und zum nächst höheren Level des Spiels zu kommen. Aber es gab den Anschein, als ob John Freude an dem Spiel hatte, und in der Schule gab es sogar einen Minecraft-Klub; also was sollte schlecht daran sein?
Aber sie begann auch, Veränderungen an John zu merken. Er verlor sein Interesse am Lesen und am Baseballspielen und war nur mehr auf Minecraft fokussiert. Am Morgen sagte er öfters, er könne die Würfel in seinen Träumen sehen.
Obwohl sie das betroffen machte, dachte sie, ihr Sohn hätte einfach eine lebhafte Phantasie. Als aber sein Verhalten immer merkwürdiger wurde, versuchte sie, ihm das Spiel wegzunehmen, was zu Tobsuchtsanfällen ihres Sohnes führte. Seine Reaktion war so arg, dass sie nachgab und sich einredete, es wäre ja schließlich ein erzieherisches Spiel.
Aber eines Abends realisierte sie, dass tatsächlich etwas ernsthaft schief lief.
„Ich betrat sein Zimmer, um nach ihm zu sehen. Er sollte schlafen und ich habe mich echt erschrocken!“ Er saß aufrecht im Bett, seine blutunterlaufenen Augen starrten geradeaus auf den beleuchteten Schirm seines iPad am Bett. Er schien in Trance zu sein. Susan wurde fast panisch und musste ihren Sohn einige Male schütteln, um ihn in die Realität zurück zu holen. Dass ihr einst gesunder und fröhlicher Sohn durch die Spielsucht in so einem starren Zustand war, verstörte sie.
Es gibt einen Grund, warum Technik-zurückhaltende Eltern meist Technik-Designer und Ingenieure sind.
Steve Jobs war ein notorischer „wenig Technik“-Vater. Leitende Angestellte im Silicon Valley geben ihre Kinder in „keine-Technik“-Waldorfschulen. Google-Erfinder Sergey Brin und Larry Page besuchten „keine-Technik“-Montessorischulen, so auch die Gründer von Amazon, Jeff Bezos bzws. Wikipedia, Jimmy Wales.
Viele Eltern verstehen intuitiv, dass allgegenwärtig leuchtende Bildschirme einen negativen Einfluss auf Kinder haben. Wir sehen, dass es zu aggressiven Wutausbrüchen bei Kindern kommt, wenn man ihnen die Bildschirme wegnimmt. Auch ihre Aufmerksamkeitsspannen verändern sich, wenn sie nicht von ihren hypererregenden Geräten stimuliert werden. Noch ärger – wir beobachten Kinder, die gelangweilt, apathisch, uninteressiert wirken, wenn sie ohne ihre Geräte sind.
Aber es ist noch viel schlimmer als wir denken.
Wir wissen, dass diese iPads, Smartphones und Xboxes eine Form von digitalen Drogen sind. Neueste Gehirnbilder zeigen, dass sie auf die vordere Hirnrinde in derselben Art und Weise wie Kokain Einfluss nehmen, wobei von dort leitende Funktionen gesteuert werden, wie z.B. die Impulssteuerung. Diese Technologie ist so hypererregend, dass die Dopaminproduktion ansteigt – der Neurotransmitter, der das Wohlgefühl vermittelt, das am meisten an der Suchtdynamik beteiligt ist; ebenso wie Sex.
Dr. Peter Whybrow, Leiter der Neurowissenschaft an der UCLA (Universität von Kalifornien, Los Angeles), nennt die Bildschirmgeräte „elektronisches Kokain“, die Chinesen sagen „digitales Heroin“. Tatsächlich nennt Dr. Andrew Doan, Leiter der Suchterforschung für den Pentagon und die US Navy, die Videospiele und Bildschirmtechnologie „digitale Drogen“.
Und so ist es – das Gehirn Ihres Kindes, das Minecraft spielt, sieht ebenso aus wie das eines Drogenabhängigen. Kein Wunder, dass es schwierig ist, Kinder von ihren Bildschirmen wegzubringen, wenn wir sie unterbrechen. Klinische Studien zeigen überdies, dass Bildschirme dazu beitragen, Depression, Angstzustände und Aggression zu erzeugen und sogar zu psychotischen Zuständen zu führen, in denen die Videospieler den Bezug zur Realität verlieren.
In den letzten 15 Jahren meiner klinischen Tätigkeit mit mehr als 1000 Teenagern habe ich herausgefunden, dass das Sprichwort „Vorbeugen ist besser als heilen“ zutreffend ist, vor allem, wenn es zu Techniksucht kommt. Hat ein Kind erst die Grenze zur Techniksucht überschritten, kann eine Behandlung sehr schwierig werden. Ich habe es einfacher gefunden, Süchtige von Heroin und Crystal Meth weg zu bringen, als Videospielabhängige oder Facebook- und sonstige Socialmedia-Süchtige.
Die US-Akademie für Kinderärzte gab 2013 bekannt, dass Acht- bis Zehnjährige bis zu acht Stunden täglich mit den verschiedenen digitalen Medien zubringen; Teenager bereits 11 Stunden. Eines von drei Kindern nutzt Tablet oder Smartphone bereits, ehe es noch sprechen kann. Nach der Veröffentlichung des Handbuchs „Internet-Sucht“ von Dr. Kimberley Young ist bekannt, dass 18% der Oberstufenkinder in Amerika an Technik-Sucht leiden.
Hat eine Person die Grenze zu totaler Sucht überschritten, egal ob Drogen, digital oder sonstiges, muss sie “entgiftet” werden, ansonsten wird keine Therapie helfen können. Bei Techniksucht hilft nur der totale Technik-Entzug; kein Computer, kein Smartphone, kein Tablet. Der totale Entzug bedeutet auch: kein Fernsehen.
Dafür werden ungefähr sechs Wochen anberaumt – solange dauert es, bis das übererregte Nervensystem auf seine Ursprungsschaltung zurück gefahren werden kann. Das ist allerdings keine leichte Übung in unserer übertechnisierten Welt, wo Bildschirme allgegenwärtig sind. Man kann Drogen und Alkohol ausweichen, bei Techniksucht lauert die Versuchung überall.
Wie können wir also unsere Kinder davor beschützen, diese Grenze zu überschreiten? Es ist nicht einfach!
Der Schlüssel ist, zu versuchen, dass unsere vier-, fünf- oder achtjährigen Kinder davor bewahrt werden müssen, von den Bildschirmen zu sehr angezogen zu werden. Das bedeutet: Lego statt Minecraft, Bücher anstelle von iPads, Natur und Sport anstelle von TV. Und wenn es sein muss, dann verlangen Sie auch von der Schule Ihres Kindes, dass sie den Kindern weder Tablets noch Lesegeräte (eBook Reader, Chromebook) aushändigen, bevor sie zehn Jahre alt sind. Es gibt sogar Empfehlungen, 12 Jahre zu warten.
Diskutieren Sie ehrlich mit ihrem Kind, warum Sie die Bildschirmzeit reglementieren. Nehmen Sie
Mahlzeiten miteinander ein – ganz ohne Bildschirme am Tisch, so hat es auch Steve Jobs gehalten. Werden Sie nicht Opfer des „überbesorgten-Eltern-Syndroms“, wie wir es aus der Sozialen Pädagogik kennen: „monkey see, monkey do“, ursprünglich ein Zulu Sprichwort – jemanden so lange nachäffen, bis es schief geht.
Wenn ich mit meinen neunjährigen Zwillingsbuben spreche, sage ich ihnen ehrlich, warum wir nicht möchten, dass sie Videospiele spielen oder Tablets haben. Ich erkläre ihnen, dass Kinder so viel spielen, dass sie nicht mehr aufhören können. Ich habe ihnen geholfen zu verstehen, dass sie, wie manche ihrer Freunde, die sich in diesen Spielen verlieren, andere Bereiche ihres Lebens versäumen. Sie könnten die Lust am Lesen oder am Baseballspielen verlieren, weniger an wissenschaftlichen oder Natur-Projekten interessiert sein, den Anschluss an ihre „echten“ Freunde verlieren. Es bedurfte nicht viel Überzeugungskraft, sie hatten bereits erlebt, wie manche ihrer Freunde sich auf Grund ihrer Spielsucht verändert hatten.
Entwicklungspsychologen wissen, dass eine gesunde Kinderentwicklung soziale Interaktion braucht, kreatives, phantasievolles Spielen und eine Auseinandersetzung mit der realen, natürlichen Welt. Leider stört die Welt der allgegenwärtigen und abhängig machenden Bildschirme diese Entwicklungsprozesse.
Wir wissen auch, dass Kinder anfälliger sind für suchtfördernde Aktionen, wenn sie sich alleingelassen fühlen, ausgestoßen, sinnlos und gelangweilt. Also müssen wir versuchen, sie mit der echten Welt zu verbinden und mit Verbindungen ‚aus Fleisch und Blut’. Ein Kind, das mit bedeutungsvollen lebensechten Aktivitäten verbunden ist und sich in der Familie geborgen fühlt, wird nicht so leicht in eine digitale Phantasiewelt flüchten. Sogar Kinder aus den besten familiären Bedingungen, die liebevoll unterstützt werden, können in die Abhängigkeit stürzen, wenn sie sich mit den hypnotischen Bildschirmen beschäftigen und ihr Abhängigkeitspotential erleben. Dazu kommt, dass eine von zehn Personen schon mit einer Prädisponiertheit für Sucht ausgestattet ist.
Schlussendlich hat meine Klientin Susan ihrem Sohn John sein Tablet weggenommen; die Rückkehr ins normale Leben war von vielen Auf und Abs und Rückschlägen begleitet.
Nach vier Jahren, mit viel Unterstützung und Stärkung, geht es John heute viel besser. Er hat gelernt, einen Computer in einer gesünderen Art und Weise zu nutzen und seinen Sinn für Ausgewogenheit zurück zu erlangen: Er spielt in einem Baseballteam und hat einige sehr nahe stehende Freunde an der Schule. Seine Mutter ist immer noch wachsam und eine positive, aktive Bewacherin seines Umgangs mit der Technik, weil – wie bei jeder Sucht – ein Rückfall auftreten kann, im Moment einer Schwäche. Sie schaut darauf, dass er gesunde Ausgänge unternimmt, es gibt keinen Computer in seinem Zimmer und beim gemeinsamen Abendessen ist die Technik auch verbannt.
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Quelle: Dr. Nicholas Kardaras / nypost.com